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Thema: Griechenland  (Gelesen 2569 mal)

Offline Locutus21

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Griechenland
« am: 26-08-2011, 11:08:46 »
So - und da ich (wegen E10) grad so schön gefrustet bin, hab ich noch ein Highlight. Somit für euch auch - der offene Brief an Griechenland für alle, die ihn noch nicht kennen:


Moin, - liebe Griechen !

Kennt Ihr das bei Euch auch: eine Tante, die einem die ganze Kindheit und
Jugend hindurch das Sparschwein füttert ? Beim ersten Fahrrad, dem ersten
Radio, der ersten Urlaubsreise - immer gibt sie ein paar Scheine dazu. Und
dafür erwartet sie nichts weiter als ab und zu mal ein freundliches Dankeschön.

Liebe Freunde, dies ist ein Brief von Eurer Geldtante.

Keine Angst, Ihr müsst nicht Danke sagen.

Das Einzige, was wir uns wünschen, ist: Versetzt Euch einmal in unsere Lage.
Seit 1981, seit 29 Jahren, gehören wir zur selben Familie, zur EU. Kein
anderes Familienmitglied hat in dieser Zeit so viel Geld in die
Gemeinschaftskasse gezahlt wie wir, nämlich netto rund 200 Milliarden Euro.
Und pro Nase hat kaum einer so viel bekommen wie Ihr, zusammen netto fast
100 Milliarden. Rund die Hälfte also von dem, was wir in den EU-Topf
gesteckt haben, habt Ihr mit großer Kelle abgeschöpft. Oder anders
ausgedrückt: Rein rechnerisch haben wir Deutschen mit den Jahren jedem von
Euch Griechen, vom Säugling bis zum Greis, über 9.000,00 Euro geschenkt.
Einfach so. War doch nett, oder? Freiwillig hat wohl noch nie ein Volk ein
anderes über einen so langen Zeitraum so großzügig unterstützt. Ihr seid
fürwahr unsere teuersten Freunde.

Wie es uns dabei ging, in all den Jahren, das habt Ihr nie gefragt. Ich
vermute, auch heute brennt Ihr nicht gerade darauf, etwas über unsere Sorgen
zu erfahren. Ich erzähle es Euch trotzdem: Unsere Straßen sind so löchrig
wie antike Bauwerke, weil uns das Geld für ihre Instandhaltung fehlt.
Bibliotheken und Schwimmbäder werden geschlossen. Manche Städte schalten
nachts jede zweite Straßenlaterne aus, weil sie die Stromrechnung nicht
bezahlen können. Im Gegensatz zu Euren steigen unsere Löhne seit der
Einführung des Euros praktisch gar nicht mehr. Und jetzt sollen wir auch
noch Euch Griechen retten!

Ihr habt Euch unser Misstrauen redlich verdient: Im Sommer fackelt Ihr
regelmäßig dieses schöne Land ab, das Gott Euch geschenkt hat. Und dann ruft
Ihr nach unserer Feuerwehr, weil Ihr es nicht allein gelöscht kriegt. Ihr
wollt alle in den öffentlichen Dienst, aber keiner will Steuern zahlen. Wenn
auch nur ein Teil der Berichte stimmt, die wir in den vergangenen Wochen
lesen mussten, dann seid Ihr offenbar nur bereit zu arbeiten, wenn Ihr
dafür Schmiergeld bekommt. Vor allem Eure Ärzte und das
Krankenhauspersonal langen kräftig zu. Ihr betrügt Euch also gegenseitig, wo
Ihr nur könnt. Das könnte uns eigentlich egal sein. Doch Ihr betrügt auch uns.
Seit vielen Jahren. Das ist uns nicht egal.

Ihr kassiert EU-Subventionen für mehr Olivenbäume, als in Euer Land passen.
Offenbar versteht Ihr doch was von Buchführung, denn um die
Stabilitätskriterien für den Euro zu erfüllen, habt Ihr Eure Bücher so
systematisch und geschickt gefälscht, dass die in Brüssel nichts gemerkt
haben. In Wahrheit habt Ihr den Euro nie verdient. Trotz Eurer
erschwindelten Daten ist es Euch seit der Einführung des Euro noch nie
gelungen, die Stabilitätskriterien zu erfüllen. Um Eure Wirtschaft größer
erscheinen zu lassen, habt Ihr Euch 2006 einen hübschen Taschenspielertrick
einfallen lassen und kurzerhand die Erlöse aus Geldwäsche, Rauschgifthandel
und Schmuggel in die jährliche Wirtschaftsleistung Eurer stolzen Nation
eingerechnet.

Über Jahrzehnte mehr Geld ausgeben als man sich erarbeitet, wie
selbstverständlich auf Kosten anderer zu leben, laufend betrügen und
tricksen - das kann nicht ewig gut gehen. Irgendwann bricht das Kartenhaus
zusammen. Irgendwann ist jetzt. Streng genommen seid Ihr pleite.
Macht Euch keine Illusionen. Wenn Angela Merkel verspricht, "Griechenland
wird nicht allein gelassen", dann geht es unserer Kanzlerin und uns
Deutschen nicht mehr um Euch Griechen. Unsere Sorge gilt jetzt unserer
eigenen Zukunft. Das Unglück ist nur: Wir sind an Euch gekettet. Wenn Ihr
untergeht, zieht Ihr uns mit unter Wasser. Zum Beispiel durch die 300
Milliarden Schulden, die Ihr mit den Jahren aufgetürmt habt. Rund 30
Milliarden davon gehören den Sparern bei deutschen Banken, in Form von
Staatsanleihen. Ob Ihr das jemals zurückzahlen werdet? Euretwegen geht der
Euro in die Knie. Uns droht die Inflation. Das bedeutet: was deutsche Sparer
auf dem Sparbuch oder in Lebensversicherungen für die Zukunft zurückgelegt
haben, wird immer weniger wert. Wegen Euch. Solche Gedanken sind Euch
natürlich fremd, denn sparen oder investieren ist nicht Euer Ding. Ihr haut
die Euros lieber raus. In der EU seid Ihr Griechen das Volk, das von seinem
Geld den größten Anteil für den Konsum verprasst. Die Regierungschefs der EU
haben zwar beschlossen, dass Ihr keine direkten Finanzhilfen bekommen sollt.
Erst mal. Doch Ihr braucht Hilfe. Und in der EU bedeutet Hilfe am Ende immer
Geld, genauer: unser Geld.

So langsam wird uns Deutschen klar: Zuerst mussten wir die Banken retten,
jetzt müssen wir Euch Griechen retten und schließlich alle Länder mit einer
Schweinewirtschaft, die "PIIGS", Portugal, Italien, Irland, Griechenland,
Spanien. Ein Staatsbankrott auch nur eines dieser Länder, darin sind sich
die Experten ausnahmsweise einmal alle einig, wäre eine Tragödie, die selbst
die Bankenkrise wie ein Lustspiel erscheinen ließe.

Kluge deutsche Staatsrechtler haben schon vor der Einführung des Euro
gewarnt: Die Wirtschaftsunion kann ohne die politische Union nicht
funktionieren. Sie hatten Recht. Jetzt erkennen wir das dramatische
Demokratie-Defizit. Wir Deutschen sind von den Entscheidungen der Regierung
Griechenlands abhängig. Aber wir können sie nicht wählen. Ihr Griechen könnt
sie wählen, aber Ihr habt ganz andere Interessen. Wir wollen, dass Euer
Ministerpräsident Georgios Papandreou sein Sparprogramm durchzieht.
Mindestens. Besser wäre es, wenn er beim Reformieren noch einen Zahn
zulegte. Aber Ihr wollt das ganz offensichtlich nicht. Ihr macht, was Ihr
immer macht: Ihr streikt. Letzte Woche der öffentliche Dienst, nächste Woche
alle, Generalstreik. Liebe, teure Griechen, wenn Ihr nächste Woche auf die
Straße geht, dann streikt, dann demonstriert, dann protestiert Ihr nicht gegen
Eure Regierung, sondern gegen uns. Dem Zorro, der Euch stets gerettet hat und
weiter retten soll, dem versetzt Ihr nun einen Tritt zwischen die Knie.
Liebe griechische Finanzbeamte, geht nächste Woche bitte nicht streiken,
sondern treibt endlich mal die Steuern Eurer Millionäre ein, von denen Ihr
bislang fürs Wegschauen so fürstlich entlohnt werdet.

Liebe griechische Ärzte, geht nächste Woche bitte nicht streiken, sondern
behandelt Eure Patienten. Von jetzt an, ohne vorher um einen Geldumschlag
zu bitten. Und dann versteuert einfach Euer Einkommen. Ja, dann könnt Ihr
Euch den nächsten Porsche erst ein Jahr später bestellen. Ihr werdet es
überleben.

Liebe Rentner Griechenlands, wenn bei uns jemand sein ganzes Leben lang
gearbeitet hat, bekommt er nicht einmal 40 Prozent seines
durchschnittlichen Einkommens als Rente. Damit sind wir auf dem
viertletzten Platz der OECD-Länder. Und wer ist auf Platz eins? Richtig:
Ihr. Über 95 Prozent Eures durchschnittlichen Einkommens gönnt Ihr Euch als
Rente. Um das hinzukriegen, greift Ihr wieder in die Trickkiste: Ihr bezieht
einfach die Rentenhöhe nicht aufs ganze Leben, sondern nur auf die letzten
drei bis fünf Arbeitsjahre. Darum ist es bei Euch üblich, dass der
Arbeitgeber den Lohn am Ende noch mal kräftig erhöht. Von dem Geld, mit
dem wir Euch fast 30 Jahre lang gesponsert haben, gönnt Ihr Euch eine
komfortablere Altersversorgung, als wir sie uns leisten können.
Findet Ihr das gerecht? Also, liebe Rentner in Griechenland: Ihr seid die
Generation, die diese Misere (mit-)verursacht hat. Jetzt haltet einmal die
Füße still und geht nicht demonstrieren, sondern lasst Eure Regierung die
Sparpläne durchziehen.

Und, liebe Bürger Griechenlands, redet Euch nicht damit heraus, Eure
Politiker seien allein schuld an der Katastrophe. Ihr habt doch die
Demokratie erfunden und solltet wissen, dass Ihr, das Volk, regiert und
damit verantwortlich seid. Niemand zwingt Euch, Steuern zu hinterziehen,
Schmiergelder anzunehmen, gegen jede vernünftige Politik zu streiken und
korrupte Politiker zu wählen. Politiker sind Populisten. Die machen genau, was
Ihr wollt.

Sicher werdet Ihr jetzt einwenden: Ihr Deutschen, Ihr seid doch auch nicht
viel besser. Stimmt. Ein Rentensystem, dem kaum einer noch traut,
Beamtenpensionen, von denen niemand weiß, wie sie in der Zukunft bezahlt
werden sollen, ein Steuersystem, das so aussieht, als hätten erfahrene
Hinterzieher es sich ausgedacht, und vor allem ein Schuldenberg, der
irgendwann ins Rutschen geraten und alles unter sich begraben wird - genau
diese Probleme haben wir auch. Und Ihr seid uns auf diesem Pfad der Untugend
nicht so weit voraus, wie viele glauben. Früher habt Ihr Griechen uns den
Weg gewiesen, habt der Welt die Demokratie, die Philosophie und das erste
Verständnis für Nationalökonomie beigebracht.

Jetzt weist Ihr uns wieder den Weg. Nur ist es diesmal der Irrweg.
Da, wo Ihr seid, geht's nicht weiter !!!!

Finanzschwache Grüsse aus Deutschland
*** Das Schlimmste, das wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht sie zu hassen - sondern ihnen gegenüber gleichgültig zu sein. Das ist die absolute Unmenschlichkeit. (G. B. Shaw) ***
 

Offline Ditmar

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Re: Griechenland
« Antwort #1 am: 26-08-2011, 11:30:33 »
Hallo Andreas  :wink:

Danke für diesen sehr aufschlussreichen Brief. :supi:
Trotz alledem erheitert er bestenfalls den Leser für ein paar Minuten danach geht seinen eigenen Zielen nach und die sind auch nicht immer lobenswert.
Wir sitzen schon zu tief in der Gebetsmühle drin um ausbrechen zu wollen.
Gruß Ditmar
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Offline Locutus21

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Re: Griechenland
« Antwort #2 am: 26-08-2011, 11:50:15 »
Hi Ditmar,

ja - das ist leider genau das, was ich immer wieder feststelle. Wie wahr.......leider!  :troesten:
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Offline Many

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Re: Griechenland
« Antwort #3 am: 26-08-2011, 13:16:18 »
Hallo Andreas,

Dein Bericht ist einfach Top  :applaus2:
und Er stimmt sogar.
Viele Gruesse aus Sea Lake

Many

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